Der Ukraine-Krieg und unser Energiebedarf

Der Ukrainekrieg bestimmt in seiner Schrecklichkeit und Unmenschlichkeit das Geschehen in Europa seit mehr als drei Wochen und ein Ende ist nicht abzusehen. Welche Auswirkungen wird das Geschehen auf uns in Europa und in Deutschland haben?

Von Rolf KünneMan fühlt sich in die schlimmsten Zeiten des 20. Jahrhunderts zurückversetzt, wobei es in Mittel -und Westeuropa nur ein Gefühl ist, in der Ukraine aber bittere Wirklichkeit. Die Beendigung dieses Krieges steht nicht in unserer Macht, so müssen wir der Entwicklung mehr oder minder machtlos zusehen.

In Deutschland haben sich in der letzten Zeit zwei Fragen in den Vordergrund gedrängt. 

  1. Greifen wir -verbunden mit der Nato- direkt in den Krieg ein?
  2. Stoppen wir im Rahmen der gegen Russland gerichteten Sanktionen die Energieeinfuhr -Kohle, Öl, Gas- aus Russland?

Über beide Fragen wird heftig diskutiert. Für beide gibt es eine klare Antwort, allerdings für die eine eindeutiger als für die andere.

Ein militärisches Eingreifen in das Kriegsgeschehen durch die Nato würde unweigerlich zu einem Krieg mit Russland führen. Die Ukraine forciert ein solches Eingreifen, aus ihrer Sicht verständlich und nachvollziehbar. Denn der Krieg tobt auf ihrem Gebiet und dann wird alles was hilft recht.

Für die Nato und damit auch für Deutschland ist militärische Enthaltsamkeit dringend geboten. Denn es ist keinesfalls in unserem Interesse, in einen Krieg mit Russland hineingezogen zu werden. Dass ein solcher schlimmstenfalls in einem Atomkrieg enden könnte, ist nicht von der Hand zu weisen. Also: Finger weg von allen direkten militärischen Aktionen!

Das hat aber die bittere Folge, dass die Nato die Ukraine im Kampf gegen das übermächtige Russland allein lassen muss. Wir können nur mit militärischem Gerät, finanziell und humanitär helfen. Und bei den Waffenlieferungen sollten wir uns auf Defensivwaffen beschränken, wobei die Grenzen hier Spielraum lassen. Das ist aus Sicht der Ukraine feige, aber wenn wir nicht sehenden Auges in den Abgrund rennen wollen, bleibt uns nichts anderes übrig.

Während bei der Frage des direkten militärischen Eingreifens die Antwort eindeutig erscheint, ist sie es bei der Frage des Energieembargos nicht.

Europa und insbesondere Deutschland beziehen einen großen Teil ihrer Kohle, ihres Öls und ihres Gases aus Russland. Täglich überweist die EU für Energielieferungen an Russland 700 Millionen Euro, allein Deutschland davon 200 Millionen Euro. Mit diesem Geld kann Russland natürlich arbeiten und damit wesentliche Kosten seines Ukrainekrieges decken. Insoweit stellt sich die Frage der moralischen Vertretbarkeit des Energiekaufs aus Russland in der Tat. Es ist naheliegend: Wie können wir es wagen, mit einem Kriegsverbrecher wie Putin solche Geschäfte zu machen? Wir fallen damit der Ukraine in den Rücken und legen eine doppelte Moral an den Tag. Aus moralischer Sicht ganz klar: Einstellen des Energiebezugs besser gestern als heute! Russland bliebe dann auf seinen ungeheuren Energiemengen sitzen und bekäme keine finanziellen Mittel für seine Kriegsführung aus Europa mehr. Das würde Russland ungemein schaden. Das dumme aber ist nur: Es schadet uns ebenfalls ungemein. Europas Wirtschaft und ganz besonders die deutsche sind von Energielieferungen Russlands -und hier ganz besonders die Gaslieferungen- stark abhängig.

Man hat in der Vergangenheit den Fehler gemacht, sich zu sehr im Energiesektor an Russland zu binden und auf das korrekte Verhalten von Russland zu vertrauen. Ob die jetzt entstandenen Probleme vorhersehbar waren, ist streitig, kann aber -zumindest im Moment- dahinstehen. Denn eine Aufarbeitung der Vergangenheit bringt uns nicht aus unserer Verlegenheit. Wirtschaftswissenschaftler sagen voraus, dass, wenn wir die Gasabnahme sogleich aus Russland beendeten, wir eine Rezession von mindestens drei Prozent bekämen, was zu einem Verlust von mehreren hunderttausend Arbeitsplätzen führen würde. Allein in der Glasindustrie hängen direkt 900000 Arbeitsplätze von einer ausreichenden Gaslieferung ab. Aber auch die chemische Industrie wäre stark betroffen. Wir können etwaige Ausfälle des russischen Gases nicht so schnell kompensieren, ganz abgesehen von gewaltigen Preissteigerungen, die mit einer solchen Aktion verbunden wären. Wenn wir also nicht schwere Schäden an unserer Wirtschaft, unseren Arbeitsplätzen, unserem sozialen Frieden erleiden wollen, können wir allenfalls nach und nach uns vom Bezug russischen Gases abkehren. Diesen schrittweisen Ausstieg sollten wir gehen, um auf mittlerer Sicht uns von diesem verbrecherischen System freizumachen.

Eins wird aber des Weiteren sehr deutlich. Es geht nicht darum, ob wir in unserer Wohnung ein „Pullöverchen“ mehr anziehen, wie es öfters naiv-populistisch tönt. Denn es geht nicht um unsere Wohlbefinden, es geht nicht um „Frieren für die Freiheit“, sondern es geht um grundlegende Existenzfragen in unserer Gesellschaft.

Erfreulich anders sieht es beim Bezug von Kohle und Öl aus. Wie Vizekanzler Harbeck (Grüne) und Rolf Mützenich, Vorsitzender der Bundestagsfraktion der SPD, übereinstimmend mitgeteilt haben und das in Übereinstimmung mit dem größten Teil der Wirtschaftswissenschaftler, kann Deutschland aus dem Bezug russischer Kohle bis zum Herbst 2022 und russischem Öls bis Ende 2022 aussteigen, weil wir die bisher aus Russland gekauften Mengen auf dem Weltmarkt werden erwerben können. Das ist in überschaubarer Zeit schon ein heftiger Schlag für Russland! Diese Schritte, einschließlich des schrittweisen Ausstiegs aus dem Kauf russischen Gases, sollten wir völlig unabhängig vom Kriegsausgang gehen, denn eine weitere starke Bindung an Russland, das das Recht, die Menschlichkeit, das Vertrauen so mit Füßen tritt, müssen wir aufgeben. Mittelfristig sollten wir uns deshalb vom Energiebezug aus Russland lossagen, was für die russische Wirtschaft katastrophale Folgen haben wird. Aber das hat sich Russland „redlich“ verdient.

Noch ein letztes zu Gerhard Schröder. Der Altbundeskanzler ist zu einem Energielobbyisten Russlands übelster Sorte geworden. Er hat seine Seele dem Teufel verkauft. Ihn deshalb, zumal er keine Reue zeigt, aus der SPD ausschließen zu wollen, ist eine verständliche Reaktion, aber ein schwieriges Unterfangen. Soweit ersichtlich verhält sich Schröder zwar unmoralisch, aber nicht rechtswidrig, geschweige denn kriminell. Zumal im Moment auch nicht erkennbar ist, dass er den Energieverkauf Russlands nach Kriegsbeginn aktiv betreibt. Wenn sich jemand nicht rechtswidrig, nicht kriminell verhält, sondern gar nichts tut, allerdings auch nicht widerruft, dann ist der Nachweis eines parteischädigenden Verhaltens, was als Ausschlussgrund dienen könnte, schwer zu führen. Auf jeden Fall wird dieses Parteiausschlussverfahren die SPD noch geraume Zeit beschäftigen.