Europas Schande

Moria:  Das ist ein reales Symbol für Zynismus, Unmenschlichkeit, Versagen, Gleichgültigkeit gegenüber Menschen und zwar gegenüber den

Ärmsten der Armen. Moria: Das ist aber auch ein anklagendes Symbol für die Lösungsunwilligkeit, Lösungsunfähigkeit europäischer Staaten, der gesamten EU. Moria: Das steht für das Treten europäischer, abendländischer Werte mit Füßen, Werte wie Mitmenschlichkeit, Humanismus, Caritas.

Von Rolf Künne

Und es sind viele, denen man diesen Vorwurf machen muss: Zuerst Griechenland, dann allen europäischen Staaten, den einen mehr, den anderen weniger, der gesamten EU als Organisation, die wieder einmal sich als handlungsunfähig erweist und dies mit vielen schönen Worten zu verdecken sucht. Auch Deutschland, das ansonsten sich als Hüter europäischer Werte in die Brust wirft, jetzt sich aber feige wegduckt. Und konkret einzelne Personen in Deutschland: Da ist die Bundeskanzlerin, die nur schön formulierte Phrasen verbreitet, da ist ein Außenminister, dem, wie auch sonst immer, nichts anderes als Appelle einfällt und da ist insbesondere ein Bundesinnenminister, der voller Zynismus von einer europäischen Lösung des „Problems“ faselt, obwohl er weiß, dass eine solche Lösung in weiter Ferne ist und die Not der Lagerinsassen groß und akut ist. Obwohl er genau weiß, dass diese Menschen, kleine Kinder, Frauen, Minderjährige unter freiem Himmel campieren müssen. Obwohl er weiß, dass die EU seit Jahren keine Lösung gefunden hat. Obwohl er weiß, dass sich das Coronavirus im Lager ausgebreitet hat, also eine konkrete Infektionsgefahr für Tausende von Menschen besteht.

Das ist ein Bundesinnenminister, der vor Jahren, gemeinsam mit dem jetzigen bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder, gegen Migranten und Flüchtlinge polemisierte, sie „zum Teufel wünschte“, bis es fast zum Regierungsbruch und zum Bruch der CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft kam, nur um ein Gegengewicht zur AfD zu bilden.

In einer solchen Gemengelage und bei diesen handelnden, besser: nicht handelnden, Personen anzunehmen, es bestehe ein ernsthafter Wille ,das „Problem Moria,“ menschlich anständig zu lösen, wäre naiv und blauäugig. Europaweit hat sich die Sprachreglung breigemacht: Wir warten auf die EU! Wohlwissend, dass auf die EU warten bedeutet, nichts zu tun.

Also das Fazit: Es geht so weiter wie bisher. Die Migranten sind uns egal, Hauptsache wir bleiben von ihnen verschont, Hauptsache wir bieten der AfD in Deutschland oder anderen Rechtsradikalen in Europa kein Angriffsfeld. Und so versteigt man sich zu den blödsinnigsten Argumenten: Die Migranten sind selbst schuld, die haben das Feuer gelegt. Jetzt sollen sie gucken, wie sie mit dem von ihnen angerichteten Schaden zurechtkommen. Das ist an Verlogenheit kaum zu überbieten. Wer sind denn „die“? Die Säuglinge, Kleinkinder? Mit Sicherheit nicht! Die Schwangeren, Kranken, Behinderten? Mit Sicherheit nicht! Die Frauen? Höchstwahrscheinlich nicht! Die Männer? Einige ja, viele nein! Wenn von ca. 13000 Menschen einige Feuer gelegt haben, dann kann man deshalb doch nicht die vielen Abertausende im Elend zurücklassen. Dass die AfD so argumentiert, verwundert nicht, denn Demagogie (Volksverhetzung) ist Teil ihres politischen Selbstverständnisses. Dass es aber auch aus Teilen der CDU so klingt (aus anderen Teilen nicht) ist verstörend.

Bedeutet all dies: Resignieren, wir können doch nichts machen? Die EU+ wird weiterhin untätig bleiben und Griechenland ist weit weg, geht uns nichts an?

Nein und nochmals nein! Wenn uns Europa und alles das Gute, was wir damit verbinden etwas wert ist, müssen wir uns rückbesinnen, muss sie EU sich jetzt endlich bewegen!

Im Moment wird europaweit argumentiert, viele EU-Staaten machen nicht mit, also kann man nichts machen, also steht alles still!

Falsch! Wenn nicht alle mitmachen, dabei einige (Österreich, Ungarn, Polen, mit Abstrichen Tschechien, die Slowakei) diametral gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sind, andere aufgrund innenpolitischer Schwierigkeiten sich zurückhalten (z.B. die skandinavischen Länder, die Niederlande), dann müssen die anderen, die sog. „Willigen“, vorweggehen, müssen handeln und Zeichen setzen. Das muss aber mehr als nur Symbolhandlung sein, wie etwa jetzt die Aufnahme von 400 unbegleiteten Minderjährigen. Dann zeigen diese Staaten, dass es in Europa noch Menschlichkeit gibt, dass Europa mehr ist, als eine Ansammlung von „Krämerseelen“. Dann müssen die „Unwilligen“ gezwungen werden, andere Leistungen als Flüchtlingsaufnahme in der Migrantenfrage zu erbringen. Zum Beispiel: Aktives Handeln bei der Sicherung der Außengrenzen, ggfs. auch nur durch Finanzierung. Hilfe bei den Prüfungen in den Asylverfahren durch Personal, Sachmittel, Geld. Hilfe bei den notwendigen Abschiebungen von den Migranten, denen Asyl oder Aufenthalt nicht gewährt werden kann. Mitarbeit bei den diplomatischen Bemühungen, Herkunftsländer der Flüchtlinge (besonders in Nordafrika) zu verpflichten, ihre Bürger, die nicht in Europa bleiben können, wieder aufzunehmen. Oder mitmachen, wenn es darum geht, schon in Afrika, Asien Prüfstellen für Asylanträge aufzubauen und diese zum Funktionieren zu bringen und die Funktionen zu erhalten.

Man sieht: Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblems zu beteiligen, ohne Flüchtlinge auf nehmen zu müssen. Und sicherlich gibt es noch deutlich mehr Felder, auf denen solche Staaten unterstützend aktiv werden können, man muss nur ein bisschen Fantasie und Mumm haben.

Dennoch wird es einige Staaten geben, die zu nichts zu bewegen sein werden. Das wird man dann hinnehmen müssen! Man sollte diese Staaten dann aber ausdrücklich benennen und vielleicht gibt es bei den finanziellen Unterstützungen der EU für diese Staaten die Möglichkeit einer „besonders gründlichen Prüfung“.

Besonders wir Deutsche stehen hier in der Pflicht! Nicht nur, dass wir der größte und mächtigste Staat in der EU sind, nicht nur, dass die wirtschaftlichen und logistischen Ressourcen haben, nicht nur, dass wir immer wieder wortreich uns für die Flüchtlinge eingesetzt haben und mit Fingern auf andere, untätige und unwillige gezeigt haben. Nein, wir haben auch aus unserer Geschichte heraus eine große Verpflichtung gegenüber allen Verfolgten. Denn es ist noch keine 100 Jahre her, der eine und andere Ältere hat es noch selbst erlebt, dass Deutsche gnadenlos verfolgt wurden und ihr Leben nur bei denen im Ausland retten konnten, die willens waren zu helfen. Haben wir das alles wirklich vergessen? Heben wir uns nicht häufig beklagt, dass manche viel zu wenig geholfen haben, wie z.B. die Schweizer? Wollen jetzt wir diejenigen sein, die aus Feigheit und Kleinmut sich nicht um die Verfolgten und Bedrängten kümmern?

Ich höre jetzt viele sagen: Mensch, das haben wir 2015 gemacht und es ist uns schlecht bekommen! Diesen „Fehler“ machen wir nicht noch einmal!

Richtig ist, dass zum damaligen Zeitpunkt unsere Logistik überfordert war, dass der Ansturm für uns zu groß war. Aber: das gilt heute so nicht mehr! Die Zahl der potenziell ins Land kommenden Flüchtlinge ist deutlich geringer als 2015. Dafür sorgen u.a. die gesicherten Außengrenzen. Die Verfahrensabläufe sind heute geordnet, die administrativen Ressourcen sind größer, die Aufnahmelager vorhanden. Also: Wir können, ohne uns zu verbiegen, viele Tausende Menschen aufnehmen, ohne dass unser Gemeinwesen Schaden  nimmt.

Natürlich werden die Rechten, insbesondere die AfD, schreien und zetern, natürlich werden Untergangsszenarien an die Wand gemalt werden. Aber dem können wir deutlich entgegen treten und müssen wegen der AfD nicht unsere Menschlichkeit verbiegen. In der Flüchtlingsfrage nichts zu tun, um die AfD zu beschwichtigen (Appeasement-Politik) geht schief, weil diese Menschen nicht zu besänftigen sind. Setzen wir uns mit denen auseinander, wie so oft in der Politik beschrieben und gefordert. Wir haben die besseren Argumente!

   Eines aber bleibt für uns alle wichtig:

Wir wollen auch noch in Jahren in den Spiegel sehen können, ohne uns vor dem, was wir da sehen, zu fürchten!