Nach der US-Wahl

Nun gibt es zumindest einmal ein Ergebnis: Joe Biden hat die Wahl gewonnen und Trump ist abgewählt! Dieser sieht das zwar noch nicht ein, faselt von Betrug und Verschwörung und lässt seine Anwälte los, um mit allen juristischen Tricks das Ergebnis noch umzudrehen. Ob er damit Erfolg hat, ist eher unwahrscheinlich. Aber grundsätzlich nicht unmöglich, zumal es immer wieder Zweifel an der Unabhängigkeit US-amerikanischer Gerichte gibt. Aber geht man von den vorliegenden Ergebnissen aus, dann wird Joe Biden am 20. Januar 2021 ins Weiße Haus als US-Präsident einziehen.

Von Rolf Künne

Er wird ein ungemein schweres Amt antreten.  Er wird alle Hände voll zu tun haben, die Trümmer, die die vierjährige Präsidentschaft Donald Trumps angerichtet hat, sowohl innen- als auch außenpolitisch beiseite zu räumen und etwas Neues und Tragfähiges aufzubauen. Außenpolitisch hat Trump die USA in die Isolation geführt und bewirkt, dass die USA verachtet werden. Er hat viele internationale Organisationen, wie z.B. die UNO, die WHO (Welthandelsorganisation), die Nato geschädigt oder Abkommen, die für die Welt lebenswichtig sind, wie das Weltklimaabkommen gekündigt und verlassen. Es ist massenhaft Vertrauen in die Verlässlichkeit der USA verloren gegangen. Dieses Land wird vielfach nicht mehr als Schutzmacht sondern als Bedrohung angesehen.

Dies alles zu reparieren und aufzustellen, ist schon eine herkulische Aufgabe. Sie wird aber noch übertroffen von den Schwierigkeiten, vor denen Biden innenpolitisch stehen wird.

Die USA sind ein zutiefst gespaltenes Land. Ein Land, in dem sich zwei Lager unversöhnlich gegenüberstehen, die die jeweilige andere Seite nicht als Gegner sondern als Feind ansehen. Dies hat auch die Präsidentenwahl gezeigt: Zwar hat Biden über 77 Millionen Stimmen bekommen, aber Trump immerhin nahezu 72 Millionen. Also in etwa die Hälfte der Wählerinnen und Wähler haben sich jeweils für die eine oder andere Seite entschieden. Das wäre alleine noch nicht so problematisch, aber diese Entscheidungen gingen mit großer Unversöhnlichkeit, mit Hass und bis zur Bereitschaft zur Gewaltanwendung einher. Zum Zeitpunkt, als diese Zeilen geschrieben werden, ist es noch nicht klar, ob die feindselige Stimmung nicht doch noch in Gewalt, bis hin zum Bürgerkrieg umschlagen wird. Wie will ein Präsident ein solches Volk wieder einen, wie will er ein bis an die Zähne bewaffnetes Volk von Gewaltanwendung abhalten, geschweige denn, wie will er die Menschen zu einem versöhnlichen Miteinander bewegen? Zumal die USA in der Vergangenheit ihre Probleme oft mit Gewalt gelöst haben oder es zumindest versucht haben.

Es spricht sehr viel dafür, dass dies nicht gelingen wird. Dass die Spaltung bestehen bleibt und letztlich doch in Gewalt umschlagen wird. Insbesondere, weil den bei der Präsidentenwahl Unterlegenen eingeredet wird, sie seinen betrogen worden, sie seien die eigentlichen Sieger.

Biden hat zwar gesagt, er sehe sich als Präsident aller US-Amerikaner, was Trump ja nicht war und auch nie sein wollte. Auch wenn dies ein Stereotyp eines jeden Wahlsiegers ist, so kann man es Biden durchaus glauben, weil er die katastrophale Stimmung sieht und weiß, dass ihm, wenn ihm Versöhnung nicht gelingt,“die Fetzen um die Ohren fliegen“. Hat er aber für sein Bemühen überhaupt eine nennenswerte Erfolgschance? Kann er den so oft beschriebenen tiefen Graben, der quer durchs Land geht, wenigstens überbrücken oder sogar zuschütten?

Auf den ersten Blick muss man sagen: Nein! Die Kluft ist zu alt und zu tief. Man darf keinesfalls vergessen: Diesen „Split“ gibt es schon seit Jahrzehnten. Trump hat ihn nicht erfunden, er hat ihn nur ausgenutzt und vertieft.

Die Wählergruppen der Republikaner und der Demokraten sind natürlich sehr heterogen, sehr vielschichtig. Das ist bei einer US-Bevölkerung von ca. 330 Millionen nicht verwunderlich. Bei aller Verschiedenheit lassen sich aber einige nennenswerte Gruppen in beiden Lagern erkennen.

Auf der einen Seite:

-Die Strengreligiösen (Evangelikale), die alles das, was nicht bibelkonform ist, ablehnen. Dazu gehören Wissenschaft, soweit sie nicht mit der Bibel übereinstimmt, liberales Denken, wie z.B. Akzeptanz von Abtreibung, Homo-Ehe, bis hin zum Verbot vorehelichen Geschlechtsverkehrs, Kritik an Autoritäten, bis hin -natürlich-zur Gottesleugnung. Diese Evangelikalen vertreten ihre Überzeugungen vehement und sind, durchaus in kirchlicher Tradition, kompromisslos.

 -Die Rassisten, die die weiße Rasse als überlegen ansehen. Für sie sind Schwarze und Latinos minderwertig, bis hin zu Abschaum.

-Die „Abgehängten“: Diejenigen, die durch den Wirtschaftswandel ihre Existenz verloren haben oder zumindest schwere Einbußen erlitten haben. Die das Gefühl haben: Es kümmert sich niemand um uns, wir sind vergessen.

-Die Wertkonservativen: Die schon immer „Law and Order“ in den Vordergrund stellten, denen andere Lebensformen als die eigenen überkommenen verdächtig sind und die sie ablehnen. Zu dieser Gruppe gehört insbesondere die Landbevölkerung.

-Die Wohlhabenden und Reichen: Diejenige, die ihren Besitz wahren und mehren wollen, auch wenn sie schon viel haben, die jede liberale, soziale Bewegung als einen Angriff auf ihren Status ansehen.

-Das Big Business: Mit all seiner Macht, das in sich selbst ruht und alle Veränderung, alles Neue fürchtet, wie „der Teufel das Weihwasser“.

Auf der anderen Seite:

-Die Liberalen: Diejenigen, die freie Lebensformen bevorzugen, Gleichheitsgedanken hegen, aber auch von Hochmut nicht frei sind.

-Die Sozialbewegten: Die die Gesellschaft grundsätzlich verändern wollen, sich den Armen und Benachteiligten zuwenden wollen. Die das bestehende System für ungerecht halten.

-Die Schwarzen und Latinos: Die sich benachteiligt sehen, die vielfach in materieller Armut leben, die von gleicher Bildung weit entfernt sind, die in einem schrecklichen sozialen Umfeld leben; aber verstärkt kriminell sind und von Drogenproblemen geplagt werden.

-Die Intellektuellen: Die von einer hohen Bildungswarte her kommend eine Gesellschaft im Aufklärungssinne schaffen und erhalten wollen. Die in ihrer Welterkenntnis und-beschreibung häufig schwer- bis unverständlich sind und deshalb vielfach abgelehnt werden.

-Die Wissenschaftler: Diejenigen, die die Basis für unser Leben unseren Fortschritt legen, aber auch vielfach nur in ihrem „Elfenbeinturm“ verweilen.

-Die Modernen, die Neuerer: Die die Mängel in unserem Leben erkennen und beheben wollen und die, mehr oder weniger schnell, die Welt verändern wollen, z.B. die Klimaaktivisten.

Und zwischen all diesen Gruppen, bei denen es auch mannigfache Mischformen gibt, die Opportunisten, die „ihr Mäntelchen in den Wind hängen“ und die Gleichgültigen, denen das meiste egal ist.

Man sieht: Es ist zumindest immens schwierig, diese Gruppen sich näher zu bringen, diese Gruppen miteinander so zu versöhnen, dass sie einander zuhören, dass sie einander nicht verachten oder gar hassen.

Wenn Biden, der von der zweiten Gruppe her kommt, versuchen will, mit der ersten Gruppe auch nur ins Gespräch zu kommen, so muss er als ehrlich bemüht gelten. Er muss auf Tricksereien verzichten, er muss der Versuchung widerstehen, jeden sich bietenden -auch noch so kleinen- Vorteil bedingungslos auszunutzen, nur um -insbesondere am Anfang seiner Präsidentschaft- Erfolge nachzuweisen. Er muss den Republikanern, die im Wesentlichen die erste Gruppe repräsentieren, entgegenkommen. Zum Beispiel: Republikaner in sein Kabinett aufnehmen, nicht in Kernbereiche republikanischer Ideologie eingreifen, wie z.B. Steuerumverteilungen von unten nach oben zulasten Reicher, die Krankenversicherung für alle zurückstellen. Zu letzterem eine Anmerkung: Die Frage einer allgemeinen Krankenversicherung („Obamacare“) ist für die Republikaner ein rotes Tuch, auch wenn sie aus Sicht eines Europäers eine Selbstverständlichkeit ist. Würde aber Biden damit am Anfang seiner Präsidentschaft loslegen, hätte er sogleich den massiven Widerstand der Republikaner zu gewärtigen und die Chance auf ein moderates Miteinander wäre dahin. Aber allein dieser Punkt macht sein Dilemma deutlich: Seine Demokraten, insbesondere der linke Flügel seiner Partei, werden gerade die allgemeine Krankenversicherung fordern. Es bedarf also eines ungemeinen Geschicks, „an diesen Klippen vorbei zu schiffen“.

Biden sollte sich nicht auf die beiden ersten Untergruppen der ersten Gruppe – die Strengreligiösen und die Rassisten- konzentrieren. Mit den Strengreligiösen wird er nicht reden können. Sie haben ein festgezimmertes, einseitiges Weltbild, das soweit von dem Weltbild der Demokraten entfernt ist, dass ein Brückenbau nicht vorstellbar ist. Und mit den Rassisten sollte man nichts zu tun haben wollen. Sie widersprechen allen Werten einer freien, gleichen, sozialen Gesellschaft, so dass man sich von ihnen nur fernhalten kann, um nicht selbst schmutzig zu werden.

Gänzlich anders sieht es bei den anderen Untergruppen aus.

Für die „Abgehängten“ kann man sogar Verständnis haben. Ihnen ist in der Vergangenheit in der Tat übel mitgespielt worden. Man hat sie schlichtweg übersehen; insbesondere die Menschen, die im sog. „Rustbelt“ („Rostgürtel“) leben (das sind  US-Staaten wie Indiana, Michigan, Ohio, Pennsylvania), die durch den Niedergang der Auto-und Schwerindustrie ihre Arbeitsplätze verloren haben und verarmt sind. Exemplarisch das Verhalten und Denken von Hilary Clinton: Man konnte den Eindruck gewinnen, dass sie noch nicht einmal wusste, dass es diese Menschen gibt. Diese Leute sahen und sehen in Trump ihren Heilsbringer. Es wird nicht einfach sein, sie aus ihrer Wut, ihrer Verzweiflung herauszubringen. Aber es gibt für Biden hier wenigstens einen Ansatz. Biden muss klarmachen, dass er die Probleme dieser Menschen sieht, dass er helfen will und kann. Aber natürlich nicht nur mit Worten sondern vor allem mit Taten. Er muss Arbeitsplätze, Infrastruktur, soziale Netze schaffen und gleich erklären, dass man bis zur Gesundung Zeit braucht. Aber sofort anfangen („the first cut is the deepest“). Vielleicht wäre eine Taskforce „Rustbelt“ ein gutes Zeichen und ein hilfreiches Instrument.

Auch bei den Wertkonservativen hat er Chancen. Er wird sie nicht zu Wählern der Demokraten machen können, zumindest nicht in großem Umfang, Aber es gibt Ansätze sie zu erreichen. Sie sind eigentlich die klassischen Republikaner alter Schule. Biden wird sicherlich nicht sie von ihren ideologischen Überzeugungen Abscheu vor Abtreibungen, Homoehe, freien, ausgiebigem Lebensstil und ähnlichem abbringen können, aber im Kern sind sie in ihrer Mehrzahl staatstreue Bürger, mit denen er reden kann, denen er zu verstehen geben kann, dass er ihre Lebenssicht toleriert, ohne dass es die seine ist.

Ebenso erscheint es möglich zu den „Reichen“ und dem „Big Business“ eine Brücke zu schlagen. Diesen Leuten geht es in aller Regel um ihre eigenen Interessen, sie sind moralideologisch nicht vernagelt und handeln vielfach nach dem Grundsatz. „Ubi bene, ibi patria“ („Wo es mir gut geht, da ist mein Heimatland“). Biden wird mit ihnen zumindest reden können. Natürlich kann er sie nicht so bedienen, wie es Trump getan hat. Auch wird er -allerdings erst im weiteren Verlauf seiner Präsidentschaft- sie Steuerbelastungen aussetzen müssen. Aber dennoch erscheint auch bei ihnen ein Dialog möglich.

Es gibt aber bei allem ein großes „Aber“: Werden die Demokraten ein Zugehen auf die Republikaner und ihrer Klientel, auf die Konservativen, akzeptieren? Werden sie bei Kernthemen ihrer Ideologie (Krankenversicherung, Renten, soziale Sicherung, freie Gesellschaft u.ä.) bereit sein, Abstriche zu machen, um einen gesellschaftlichen Ausgleich mit dem politischen Gegner zu erreichen?

Wenn Biden die Demokraten bei der Stange halten will, wird er einige Erfolge im „demokratischen Sektor“ anstreben und vorweisen müssen, letztlich Themen, bei denen die Republikaner nicht gleich „Verrat“ schreien. Hierfür einige Beispiele: Treueerklärung zur Nato, zur Uno, Rückkehr zur WHO, zum Klimaabkommen, Ausbau regenerativer Energien, massive Anstrengungen im „Rustbelt“, Wirtschaftsförderung und Schaffen von Arbeitsplätzen („It´s the economy, stupid!“) und, natürlich, massive und intensive Bekämpfung der Corona-Pandemie.

So könnte er es zumindest versuchen!

 

 

Die US-Wahl hat aber noch etwas sehr Bedenkliches aufgezeigt, mit dem ich schließen möchte.

Die Demokraten haben auf Trumps offensichtlichem Bemühen, das Wahlergebnis zu seinem Gunsten durch Missachtung von vielen Millionen Wählerstimmen zu manipulieren, mit dem Slogan geantwortet: „Jede Stimme zählt!“. Dieser Slogan ist richtig und falsch zugleich!

Richtig, als festgestellt werden musste, dass jede abgegebene Stimme gezählt und ausgewertet werden muss. Alles andere wäre tatsächlich Wahlbetrug.

Falsch, als der Slogan eine Gleichwertigkeit der Stimmen suggeriert. Eine Stimmengleichwertigkeit gibt es bei der US-amerikanischen Präsidentenwahl nicht. Denn gewählt wird in den einzelnen Bundesstaaten  nach dem Grundsatz: Dem Sieger fällt alles (d.h. alle Wahlleute) zu. Dabei ist es gleichgültig, ob die Mehrheit in einem Bundesstaat eine Stimme oder eine Million Stimmen beträgt. In beiden Fällen bekommt der Sieger die Stimmen aller Wahlmänner dieses Staates. Folglich wären, um in unserem Beispiel zu bleiben, bei einer Mehrheit von einer Million Stimmen 999999 Stimmen verloren.

Dieses System hat zur Folge, dass derjenige Kandidat, der insgesamt auf US-Ebene mehr Stimmen als sein Gegner auf sich vereinigen konnte, dennoch die Wahl verlieren kann (so ist es Hilary Clinton 2016 passiert). Und noch eines: Für Wähler in sogenannten sicheren Staaten für eine Partei, z.B. Kalifornien für die Demokraten, Oklahoma für die Republikaner, ist die Stimmabgabe für den Einzelnen sinnlos, weil das Ergebnis in diesem Staat von vornherein feststeht und die einzelne Stimme bundesweit nicht mehr zählt. Das ist frustierend.

Aber: Weil jede politische Seite in diesem System einen Vorteil sieht, wird sich daran zukünftig nichts ändern.