Neue Wege aus der Flüchtlingskrise?

Die Migrationsfrage, die Frage der Aufnahme von Flüchtlingen, spielt in der EU eine ganz entscheidende Rolle. Keine Frage spaltet die EU so wie diese. Da gibt es Staaten, die es rundweg ablehnen, überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen. Da gibt es Staaten, die zur Aufnahme bereit sind. Da gibt es Staaten, die irgendwo dazwischen lavieren. Seit Jahren ist es der EU nicht gelungen, eine gemeinsame Lösung zu finden. Sie „eiert“ herum. Ein überzeugenden Lösungsansatz ist bisher nicht gefunden, geschweige denn akzeptiert worden.

Von Rolf Künne


Nun gibt es Überlegungen, die von einem anderen Ansatz her kommend eine Möglichkeit aufzeigen, wie man diese, die EU bis ins Innerste erschütternde Frage einer Lösung näher bringen könnte. Der Österreicher Gerald Knaus macht Lösungsvorschläge, die es zumindest wert sind, näher betrachtet zu werden. Knaus ist der Chef eines „Think-Tanks“ (ein Think-Tank ist eine Organisation, die allgemein wichtige Probleme aufgreift, sie analysiert und Lösungen erarbeitet), der insbesondere die Inhalte des sog. „EU-Türkei-Deals“ erarbeitet hat. In diesem „Deal“ wurde vereinbart, dass die Türkei Flüchtlinge, im Wesentlichen aus Syrien, bei sich behält, für deren Versorgung sie Geld von der EU erhält. Außerdem versprach die EU, für jeden in die Türkei zurückgeschickten Flüchtling einen aus den türkischen Lagern zu übernehmen. Diese Vereinbarung hat jahrelang funktioniert und die EU entlastet. Insbesondere wegen des unflexiblen und chaotischen Verhaltens Griechenlands ist diese Vereinbarung aber mittlerweile von der Türkei aufgekündigt worden. Dieser Vertrag mit der Türkei hat aber eine Zeit gut funktioniert und das bedeutet: Zum einen hat Gerald Knaus nachgewiesen, dass er praktikable, umsetzungsfähige Vorschläge in der Flüchtlingsfrage machen kann. Zum anderen, dass es Wege gibt, jenseits der bloßen Gewalt dieses Flüchtlingsproblem -zumindest zum Teil- zu beherrschen.
Der jetzige Zustand, in dem sich die EU in der Flüchtlingsfrage befindet, ist inhuman und wird letztlich scheitern. Situationen wie im Flüchtlingscamp „Moria“ in Griechenland werden sich wiederholen, weil das Leid, das man den dort eingesperrten Leuten zufügt, so groß wird, dass es zu Gewaltausbrüchen aus Verzweiflung kommen muss.
Also: Neue Überlegungen, neue Wege müssen her! Und da bietet Gerald Knaus neue interessante Ansätze, wobei diese in vielen Teilen schon früher einmal, und auch in einigen Bereichen heute noch, praktiziert wurden. Knaus weist darauf hin, dass das wesentliche Problem der Abschiebung nicht bleibeberechtigter Asylbewerber ungelöst ist, weil die Heimatländer der Migranten diese nicht mehr zurücknehmen wollen. Dies gilt für die außereuropäischen Heimatländer, insbesondere die afrikanischen. Für die europäischen, wie z.B. die Balkanländer und die Ukraine , gilt das nicht. Warum? Man hat mit diesen europäischen Staaten, besonders wichtig mit der Ukraine, seitens der EU diese Vereinbarung getroffen: Bürger der Balkanländer und der Ukraine dürfen visumfrei in die EU reisen, also nur gegen Vorlage ihrer Personaldokumente (Personalausweis, Pass). Im Gegenzug verpflichten sich diese Staaten, Ihre Bürger, die nicht in der EU bleiben dürfen, z.B. weil sie die Aufenthaltszeit überschritten haben, wieder aufzunehmen. Und dieses System funktioniert reibungslos!
Also, sagt Knaus, lasst uns genau dasselbe mit den außereuropäischen Ländern tun. Fangen wir konkret mit Marokko und Tunesien an! Geben wir den Bürgern dieser beiden Staaten visumsfreien Zugang zur EU, wenn Marokko und Tunesien sich im Gegenzug verpflichten, die ab-und ausgewiesenen Asylbewerber wieder zurücknehmen. Für Marokko und Tunesien wäre der visumsfreie Zugang ihrer Bürgerinnen und Bürger ein großer Anreiz, ermöglicht er ihnen doch einen zwanglosen Weg zu einem großen, interessanten, wohlhabenden Staatenkomplex. Für die EU wäre die reibungslose Rückführung der abgelehnten Personen sehr interessant. Natürlich steckt in der Visumsfreiheit für die EU die Gefahr, Menschen ohne genaue Überprüfung einzulassen. Da man sie andererseits, wenn notwendig, deutlich erleichtert wieder los werden könnte, ist der Nutzen deutlich größer als das Risiko. Man könnte mit Marokko und Tunesien pilotartig anfangen, um, wenn sich das Verfahren bewährt haben sollte, dieses auf andere außereuropäische Staaten zu übertragen.
Ein zweiter Vorschlag Knaus zielt auf die Flüchtlinge, die aus Staaten kommen, denen die Rücknahme ihrer Staatsbürger nicht möglich oder nicht gewollt ist, z.B. Afghanistan und Syrien. Sei es, dass sie keine funktionierende staatliche Organisation mehr haben, sei es, dass sie aus politischen Gründen diese Menschen nicht mehr zurückhaben wollen. Oder dass die geflohenen Menschen einfach nicht mehr in ihr Heimatland zurück können, z.B. wegen des dort herrschenden Kriegszustandes. In diesen Fällen regt Knaus an, den Aufnahmeländern wie die Türkei und den Libanon Geld für die Versorgung der Flüchtlinge zu geben. Also insoweit eine Wiederholung des „Türkei-Deals“. Das könnte den Druck auf Griechenland erheblich mindern.
Als dritte Maßnahme müssen die Asylverfahren, in denen die Asyl-und/oder Aufenthaltsberechtigung der Geflohenen festgestellt werden, erheblich beschleunigt werden. Ein Grund für die desolaten Zustände in den griechischen Inselflüchtlingslagern sind die endlos lang andauernden Asylverfahren. Dem kann man abhelfen, indem man zum einen „know-how“ in der Abwicklung solcher Verfahren an die einzelnen Entscheidungsstellen in der EU weitergibt, zum anderen personell und materiell Unterstützung gewährt. Die deutsche Behörde für die Entscheidungen in Asylverfahren, das BAMF, ist nach gewaltigen Anlaufschwierigkeiten in den Jahren 2015, 2016 nunmehr so gut aufgestellt und so verfahrenserfahren, dass sie europaweit als Vorbild dienen kann. Also: Das know-how des BAMF zuzüglich personeller und materieller Hilfe an die Entscheidungsstellen in den besonders betroffenen Ländern wie Griechenland, Italien, Spanien geben, und es ist schon viel gewonnen!
Als vierte und letzte Maßnahme schlägt Knaus vor, ein sog. „Resettlement“(„Wiederansiedlung“) in den EU-Staaten für Migranten einzuführen. Beim „Resettlement“ werden anerkannte Asylbewerber und Flüchtlinge fest und auf Dauer im jeweiligen Staat angesiedelt. Der jeweilige Aufnahmestaat gibt eine feste Jahresquote vor und Private übernehmen für diese Menschen eine Partnerschaft. Private sind Einzelpersonen, Verbände, Kirchen usw. Diese stellen Geld zur Verfügung für die „Überführung“ und die erste Zeit im Land. Die Restfinanzierung könnte über einen EU-Fonds, in den alle 27 EU-Staaten einzahlen, finanziert werden. Kanada praktiziert dieses System schon seit längerem, nimmt jährlich 30000 Menschen auf und hat Erfolg damit. Auf Deutschland übertragen, ergäbe sich eine Zahl von 60000 pro Jahr, also durchaus verkraftbar. Weil die Integration der Flüchtlinge dadurch erheblich erleichtert würde, hätte der Staat erhebliche Vorteile.
Man sieht: Mit ein wenig Fantasie, mit der Bereitschaft neue Wege zu gehen und mit ein wenig Mitmenschlichkeit ergeben sich neue Ansätze, die zumindest diskussionswürdig sind. Ob die Politik bereit ist, von ihren eigefahrenen, aber erfolglosen Gleisen abzuweichen, bleibt abzuwarten.
Eine ernsthafte Prüfung hat dieses neue System von Gerald Knaus aber auf jeden Fall verdient.